Jutta Stegemann und eine zweifelhafte Therapie

Als Der Spiegel, im März 2023, den Artikel “Im Wahn der Therapeuten” veröffentlichte, erlangte namentlich Jutta Stegemann, psychologische Psychotherapeutin in Münster, einen unrühmlichen Bekanntheitsgrad, da Sie beschuldigt wurde Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Therapie induziert zu haben.

Manipulation kommt in jeder Therapie vor, am besten zum Wohl der Therapierten. An welchen Stellen Manipulation und Suggestion ansetzen kann, möchte ich am Beispiel des Spiegel-Artikels darstellen.

Vor dem Familiengericht wird Weber sagen, sie hätte durch ihre Therapeutin »zum ersten Mal davon erfahren, was passiert sein soll«. Gemeint ist der angebliche satanische Missbrauch.

Auch ohne den Hintergrund satanischer Kulte ist es mit Skepsis zu betrachten, wenn TherapeutInnen meinen die Geschichten besser zu kennen als die Hilfesuchenden selbst. Therapierende sollten Experten für Ihre Methoden sein, mehr allerdings nicht. In Therapien sollte es darum gehen das Selbst von Hilfesuchenden zu stärken, damit diese mehr Wohlbefinden erlangen und in ihren Handlungen frei und möglichst unabhängig werden. Der Weg dorthin ist beinahe schon eine philosophische Frage, letztendlich aber abhängig von der Art der Therapie – Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Verhaltenstherapie. (Systemische Therapie, EMDR)

Der Spiegel-Artikel schildert mehrere Punkte in der Therapie zwischen Frau Stegemann und Frau Weber, die Gedächtnisfälschung, die iatrogene Erzeugung einer Dissoziativen Identitätsstörung als auch die Abhängigkeit zur Therapeutin ermöglichen und verstärken.

Ihre Therapeutin hingegen, so schildert es Weber, habe von ihr verlangt, wieder und wieder Bilder des vermeintlichen Missbrauchs in sich aufsteigen zu lassen, an den sie keine Erinnerung gehabt habe.

Allein diese Aufforderung bietet Raum für ein eigenes kontroverses Thema, dem unbewussten Verdrängen von Erinnerungen - in den 90ern führte dies zur Debatte der sogenannten Memory Wars. Obwohl auch heute noch die Mehrheit im klinischen Umfeld davon ausgeht, dass sich Erinnerungen in das Unbewusste verdrängen lassen, fehlt es dazu an Belegen, die diese Annahme bestätigen würden.

Das menschliche Gedächtnis rekonstruiert Erinnerungen aus verschiedenen Bruchstücken, wodurch es für Verfälschungen anfällig ist. Die Aufforderung sich bewusst an etwas zu erinnern ist bereits selbst manipulativ. Die Aufforderung impliziert, dass dort etwas gewesen sein müsste, wodurch aktiv die Rekonstruktion veranlasst wird – auch für nicht reale Erlebnisse.

Mit bunten Steinen soll sie ihre »Innenpersönlichkeiten« aufstellen und ihnen Namen geben. Davon hat Weber noch ein Foto.

Das Aufstellen von Steinen als Innenpersönlichkeiten fördert den kreativen Denkprozess, da man angeblichen Anteilen eine Form gibt, selbst wenn diese nicht vorhanden sind. Es ist ein Spiel, ein Training. Es ist eine übliche Methode, durch „Aufstellungsarbeit“, gewissen Zusammenhängen eine Form zu geben. Man könnte zum Beispiel versuchen in die eigenen Emotionen einzusteigen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Bei Frau Weber war es allerdings so, dass eine konkrete Aufgabe vorliegt, nämlich Persönlichkeitsanteilen eine Form zu geben. Gibt man nun jeder Emotion einen eigenen Persönlichkeitsanteil, entwickelt sich zusätzlich ein falsches Bild von einem Ich, da unterschiedliche emotionale Zustände als „nicht richtig“ angesehen werden könnten. Sollte eine Aufstellung durchgeführt werden, muss diese ein offenes Ergebnis anbieten können.

Obwohl man häufig von positiven Effekten bei diesen Ansätzen liest, ist mir bis dato nicht bekannt, dass für den psychotherapeutischen Kontext evaluierte Ergebnisse vorliegen, wohlgleich systemische Verfahren seit einigen Jahren offiziell anerkannt werden.

Als »Erinnerung« notiert sie: ein Mädchen, das von einer Hohepriesterin zum Altar geführt wird, »ich musste folgen«, Glockenklänge, ein Messer, Blut spritzt – genau wie in einem Buch beschrieben, das sie auf Stegemanns Anweisung durchgearbeitet habe.

Grundsätzlich kann jede Informationsquelle ein Einfallstor für Gedächtnisfälschung sein. Je öfter diese falsche Quelle benutzt wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit einer Adaption. Dies deckt sich auch mit der Aussage Webers, dass mit Beenden der Therapie weniger Bilder hochkamen.

Die Therapeutin habe das als »Durchbruch« gefeiert.

Sobald die ersten Scheinerinnerungen einsetzen und dies gelobt wird, erfolgt eine positive Verstärkung. Im therapeutischen Kontext ist dies eher kritisch. Die Sichtweise von Therapierenden ist unwichtig, da es darum geht vulnerable Personen in ihrem Selbst zu stärken – darum sollten TherapeutInnen bestmöglich eine neutrale Position einnehmen. Jedes Lob könnte KlientInnen dazu verleiten angepasste Antworten zu geben, um mit diesen zu gefallen.

Stegemann habe ihr erklärt, sie sei in den kultischen Kreis hineingeboren worden und verfüge über Geheimwissen.

Auch dieser Absatz stellt eine positive Verstärkung dar. Solche Exklusivität vermag ein Ego zu streicheln. Vielleicht nicht nur das Ego der Klientin, sondern wohlmöglich auch das der Therapeutin. Ein wenig erinnert es daran, als eine Reinkarnation von Kleopatra bezeichnet zu werden - was bestimmt auf mehr als eine Person zutreffen wird.

Ihr schweres Stottern resultiere aus einem Redeverbot durch die Kult-Obersten, Logopädie sei sinnlos.

An dieser Stelle verhindert die Therapeutin sogar, dass eine sinnvolle Behandlung in Anspruch genommen wird. Ist die Anzahl von weiteren Behandlern reduziert, ermöglicht dies eine erhöhte Abhängigkeit von der Therapeutin.

Ohne dass sie sich dessen bewusst sei, werde sie bis in die Gegenwart gefoltert und missbraucht. Um ihre hierfür geeigneten »Persönlichkeitsanteile nach vorne zu holen«, benutzten die Täter etwa Musik aus einem Autofenster. Es könne passieren, dass sie sich dann in das Auto setze und zu Ritualen abtransportiert werde. Um sich dagegen wehren zu können, habe Stegemann gesagt, müsse Weber alle ihre »Innenpersönlichkeiten« miteinander versöhnen. Therapiedauer: bis zu zehn Jahren.

Besonders dieser Absatz zeigt, welchen Therapieansatz Frau Stegemann verfolgte. Den der Verdrängung. Angeblich vergessene Folter, die über Jahre hinweg angedauert haben soll, bis zur Gegenwart. Mit der Begründung, man könne sich nur nicht daran erinnern, hat man immer einen Grund die eigenen therapeutischen Angaben zu untermauern. Nichts kann mehr durch die Klientin infrage gestellt werden. Ein fataler Fehlschluss.

Zusätzlich wird erneut die Existenz weiterer Persönlichkeitsanteile als gegeben verstanden. Auch das Versöhnen verschiedener Anteile miteinander führt dazu, dass eine Spaltung des Ich-Verständnisses gefördert wird. An solchen Stellen wird klar, dass die DIS iatrogen in der Therapie aufgebaut und vermutlich mit einer falschen Psychoedukation verbunden wird.

Zwischen den Zeilen kann man lesen, dass die Therapeutin die These des „Mind-Control“ vertritt und was sie darunter versteht: Durch Trigger ausgelöste, komplexe Handlungsstränge – losgelöst von einem Alltagsbewusstsein.

Da vermeintliche Täter bis in die Gegenwart präsent sind, wird zusätzlich Angst geschürt. Dies deckt sich mit folgendem Abschnitt im Artikel:

Dann kommt der Gerichtsbeschluss: Die Kindesmutter könne »hoch belastet durch den Ausstieg aus dem Kult« und »ständig auf der Hut vor potenziellen Übergriffen« ihrer Erziehungsverantwortung für das Kind nicht gerecht werden.

Solche Äußerungen destabilisieren in ihrer Gesamtheit, fördern die Abhängigkeit von Therapierenden und begünstigen die Entstehung von Symptomen einer PTBS. Zudem sind vulnerable Personen empfänglicher für Suggestionen. Festgehalten werden kann: Destabilisierung widerspricht dem, was im Bereich der Traumatherapie angebracht ist.

Aufgrund der genannten Quellen gehe ich davon aus, dass die Anschuldigungen gegenüber Frau Stegemann der Wahrheit entsprechen.

Die ersichtlichen Konsequenzen für Frau Stegemann waren bisher die Schließung der Beratungsstelle am Bistum Münster und wohl auch, dass sie nun nicht mehr als Referentin an einer Tagung der DGTD teilnehmen wird.

Die Namensnennung im Artikel dürfte möglich gewesen sein, da hier ein öffentliches Interesse an der Information überwiegt. Aus welchen Motiven heraus Frau Stegemann auch gehandelt haben mag: Ein Fortbestehen der Heilerlaubnis wäre in meinen Augen fatal.

Letztendlich wird sie nur eine von vielen sein, die auf diese Art und Weise therapiert. Alle Therapierenden sollten sich bewusst sein, welchen Einfluss sie auf ihre KlientInnen ausüben.

Quellen