Was steckt hinter ritueller Gewalt? | ZDF Magazin Royale

Freitag, der 08. September 2023. Unter dem Hashtag #HimmelOderHölle veröffentlichte Jan Böhmermann, in seiner Sendung ZDF Magazin Royale, einen Beitrag über Rituelle Gewalt (Link gültig bis zum 07.09.2024) und kritisiert - in gewohnt ironisch provozierender Manier - die Psychologin Michaela Huber und die These des Mind-Control.

Michaela Huber ist unter Kritisierenden sehr bekannt und vermittelt seit mehreren Jahrzehnten die Thesen des rituellen Missbrauchs an ein breites Fachpublikum. In Deutschland galt sie bisher als DIE Spezialistin im Bereich Traumatherapie und Vorreiterin zur Aufklärung über die Dissoziative Identitätsstörung.

Thematisch ist die Sendung mehr ein “Draufhauen” und kratzt lediglich an der Oberfläche der ganzen Thematik. Angesichts des Zielpublikums finde ich die Tiefe jedoch angemessen und begrüße die Aufmerksamkeit, die durch die polarisierende Darstellung und Bekanntheit der Sendung geschaffen wird. Hätten sich die zuständigen Stellen gegenüber fachlicher Kritik bisher offener gezeigt, wäre es vermutlich nie notwendig gewesen mit der Brechstange an das Thema heranzugehen.

Welche Weiten die Netzwerke der “Rituellen Gewalt”-These inwzischen haben wird am Rande verdeutlicht, indem auf Verbindungen zwischen Michaela Huber und der Aufarbeitungskommission bei der unabhängigen Missbrauchsbeauftragten hingewiesen wird.

Ein weiterer Hinweis, zur Verbreitung der Mind-Control These, erfolgt über die Erwähnung eines Videos des Vereins “Die Kinderschutz Zentren e.V.”, gesponsert durch das Bundesfamilienministerium.

Das Bundesfamilienministerium distanzierte sich gegenüber Magazin Royale von der zweifelhaften Verwendung des Begriffs “mind control” - jedoch nicht ausdrücklich davon, dass die ganze These komplett unbewiesener Blödsinn ist. Meine Vermutung ist, dass man zukünftig die Dissoziative Identitätsstörung in Zusammenhang mit dem Begriff vermeidet und es als Manipulation umdeuten wird. Das Video wird inzwischen offiziell überprüft, wobei der Begriff “Mind-Control” ebenso in etlichen Fachexpertisen aufgegriffen wird.

Was nach der Sendung durch die Medien ging war nicht das Thema selbst, sondern eine anonyme Anzeige gegen Jan Böhmermann und ZDF Magazin Royale, mit Ermittlungen durch Polizei und Staatsschutz. Dieser Fokus dürfte auch das Resultat von Kritik der letzten Tage, im Zusammenhang mit Nancy Faeser und der Schönbohm-Affäre, sein.

Der Vorwurf gegenüber ZDF Magazin Royale und Böhmermann ist “illegal erschlichene Teilnahme” an einer Fachweiterbildung und Weitergabe vertraulicher Informationen aus Fallbeispielen. Als Therapeutin hätte Michaela Huber oft mit Aussteiger*innen aus Sekten und anderen Gruppierungen zu tun und würde deshalb einen besonderen Schutz genießen.

In meinen Augen wird, alleine schon aufgrund des öffentlichen Interesses, diese Anzeige ins Leere laufen. Bedenklicher finde ich hingegen die Instrumentalisierung von Klient*innen für kommerzielle Zwecke.
Fallbeispiele sollten grundsätzlich in anonymisierter Form stattfinden.
Ebenfalls zu bedenken ist, dass zwar Fachpersonal, welches durch akademische Leistungen eine Heilerlaubnis erworben hat, der Schweigepflicht unterliegt, andere Berufsgruppen hingegen nicht. Laut der AGB auf Hubers Homepage, dürfen dort weitere Berufsgruppen (z.B. Heilpraktiker*innen) mit entsprechender Ausbildung an Seminaren teilnehmen - welche aus rechtlicher Sicht kein Zeugnisverweirungsrecht haben.

Auf YouTube befindet sich das Video aktuell auf Platz 2 der Trends und hat am dritten Tag knapp unter 500.000 Aufrufe mit etwa 3.600 Kommentaren. Zum Vergleich: die letzte Sendung hat nach 8 Tagen ca. 950.000 Aufrufe mit etwa 2740 Kommentaren erreicht. Die RG-MC Szene (RG-MC = Rituelle Gewalt Mind-Control) ist sehr aktiv und schreibfreudig.

Die Reaktionen sind typisch. Die Reportage ist “ultra-schlecht” recherchiert, wer sich gegen die Thesen ausspricht, wird als Täter bezeichnet und schadet “wahren” Opfern ritueller Gewalt, sowie Patient*innen mit einer Dissoziativen Identitätsstörung. Es spielt überhaupt keine Rolle, welche abstrusen Aussagen, im direkten Wortlaut, zitiert werden.

Worüber man sich langfristig Gedanken machen sollte, wie man Kollateral-Schäden möglichst gering hält und Vertrauen in Psychotherapie wieder stärken kann. Das Problem deswegen auszublenden und die Berichterstatter zu verurteilen ist für mich keine Option.

Wie bei anderen Verschwörungstheorien typisch, wird man nicht alle Menschen aus dieser Meinungsblase herausholen können und sich eher auf die Aufklärung fokussieren müssen.

Mein Fazit kurz zusammengefasst:
Oberflächlich dargestellt, für das Zielpublikum passend aufbereitet. Es schafft zusätzliche Aufmerksamkeit durch die Skandalisierung der letzten Tage, die ich im Sinne der Aufklärung gerne mitnehme.
Bisherige Versuche einen fachlichen Diskurs aufzunehmen wurden durch Ignorieren quasi gecancelt. Nun gibt es Aufmerksamkeit mit dem Hammer. Das Thema wird dadurch mehr in die allgemeine Öffentlichkeit gezerrt, anstatt hinter Paywall-Artikeln nur einer begrenzten Leserschaft zur Verfügung zu stehen.

Vielleicht kommen wir irgendwann mal auf einen mit der Schweiz vergleichbaren Stand wo, in einem vorläufigen Bericht zur Klinik Littenheid, 42 Fälle mit gravierenden Anzeichen verschwörungstheoretischer Anteile in Therapien gefunden wurden. Weitere 188 Fälle mit einer Andeutung verschwörungstheoretischer Inhalte, wodurch im schlimmsten Fall mit einem Anteil von 50% Fehltherapien ausgegangen werden muss.

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Quellen