Redakteur bestätigt Haltungsjournalismus beim WDR

In einem Beitrag des WDR, berichtete im letzten Jahr das Magazin Westpol über die Schließung der Beratungsstelle für “Opfer sexueller ritueller Gewalt” am Bistum Münster. Darüber wurde bereits letztes Jahr hier im Blog berichtet.

In einer mir vorliegenden Reaktion auf einen Zuschauerbrief, äußerte sich der beteiligte Redakteur Arne Hell nun derart, dass man bei diesem Beitrag von Haltungsjournalismus ausgehen muss.

Dass der Verein „False Memory“ „umstritten“ ist, legen wir übrigens nicht nur nahe, es ist eine Tatsache. Denn dafür genügt es, dass die Haltung und Positionen des Vereins unter Menschen, die sich für Betroffene sexueller Gewalt einsetzen, kritisch gesehen werden. Dass es darunter auch Kritik gibt, und zwar längst nicht nur von „RG-Aktivist*innen“, die die Aktivitäten des Vereins als eine Art „Täterschutz“ verstehen, ist ebenfalls Fakt. Wahrscheinlich kennen Sie ja das Radio-Feature meines Kollegen Michael Weisfeld (https://www.ardaudiothek.de/episode/ard-radiofeature/falsche-erinnerung-doku-ueber-false-memory-und-sexuelle-gewalt/ard/12333553/). Die Aussagen und Haltungen von Frau Cammans sprechen für sich.

(Arne Hell, Redakteur Westpol)

Zu beachten ist, dass es sich bei dieser Form von Äußerung um ein “argumentum ad hominem” handelt. Es wird dabei nicht auf Argumente zum Thema Rituelle Gewalt eingegangen, sondern versucht die Diskussion auf eine Person zu lenken.
Indem man diese diskreditiert, versucht man die eigentliche Kritik zu schwächen, obwohl die Person selbst keine Relevanz für Diskussionen um den Sachverhalt hat. Konkrete Punkte werden in dem vorliegenden Schreiben nicht benannt.

Auch die von Arne Hell erwähnte Reportage von Michael Weisfeld ist umstritten. So kann man nicht nur hier im Blog etwas dazu lesen, sondern auch auf Dissoziation.de und im Blog der GWUP.
Michael Weisfeld wurde vorgeworfen, die Zusammenhänge der Aussagen verfälscht zu haben. Dies berichtete Kai Funkschmidt gegenüber dem GWUP-Blog. Ähnliche Vorwürfe gab es bereits bei vorangegangenen Reportagen zu anderen Themen.

Da für mich diese Form der Antwort inakzeptabel war, richtete ich am 03.01.2024 ein detaillierteres Beschwerdeschreiben an den WDR.

Folgende Antwort ging am 11.01.2024, durch den WDR-Rundfunkrat, bei mir ein:

[…] Genügt eine Programmbeschwerde diesen formalen Kriterien, ist erster Adressat der Intendant des Senders, da er für die gesendeten Inhalte verantwortlich ist. Wir haben Ihren Brief deshalb an die zuständige Intendanz mit der Bitte um Prüfung weitergeleitet. Über die Antwort des WDR auf Ihre Kritik und zu der Frage, ob die Bedingungen für eine förmliche Programmbeschwerde gegeben sind, wird der Rundfunkrat informiert. […]

Es wurde ebenso darauf hingewiesen, dass die Bearbeitung einige Zeit in Anspruch nehmen kann. Da nun einige Wochen verstrichen sind, habe ich mich dazu entschlossen einige der Kritikpunkte hier im Blog zu veröffentlichen.

Zwar kommen in dem Bericht mehrere Parteien zur Sprache, jedoch fehlt es an wichtigen Informationen, um das Thema “Rituelle Gewalt” und die Aussagen der Interviewten umfassend bewerten zu können.

Durch diese gezielt eingeschränkte Berichterstattung ist die Aufbereitung in meinen Augen weder mit dem “WDR-Gesetz”, noch einer journalistischen Fairness im Einklang. Insbesondere sehe ich dabei §5, Absatz 5 und 6, des WDR-Gesetzes verletzt.

Im folgenden Text möchte ich auf einige meiner Kritikpunkte, aus dem Schreiben an den WDR, Bezug nehmen.

Meinungsbildung

Westpol:

Tatsächlich gibt es seit Jahren Stimmen aus der Kriminalistik und der psychologischen Forschung, die Betroffene ritueller sexueller Gewalt für unglaubwürdig erklären. Die behaupten, für satanistische oder exorzistische Täternetzwerke fehlten die Beweise, etwa ein großer Prozess, der ein solches Netzwerk ans Licht gebracht hätte.
 
Dem gegenüber steht eine Reihe von Therapeuten und Therapeutinnen, deren Patientinnen von systematischer ritueller sexueller Gewalt berichten.

Meine Kritik:

Diese Aussage erzeugt den Eindruck, dass eine Mehrheit richtig liegen müsse und führt wissenschaftliche Kriterien ad absurdum. Die Mehrheit von etwas ist ein Meinungs- und kein Wahrheitsbild.

Zudem heißt es laut WDR-Gesetz, §5, Absatz 5 Punkt 3:

Der WDR soll in seiner Berichterstattung angemessene Zeit für die Behandlung kontroverser Themen von allgemeiner Bedeutung vorsehen. Wertende und analysierende Einzelbeiträge haben dem Gebot journalistischer Fairness zu entsprechen. Ziel der Berichterstattung ist es, umfassend zu informieren.

Es ist nicht fair durch rhetorische Mittel einen Sachverhalt als Fakt darzustellen und zieht vielmehr den vom WDR gewünschten Bildungsauftrag ins Lächerliche.

Eine fehlende Differenzierung sehe ich zudem in der Benutzung verschiedener Deutungen des Begriffs “Ritueller Missbrauch”. Die Berichterstattung bezieht sich im Gesamtbild auf Fälle ideologischer motivierter Straftaten und zusätzlich auf Straftaten, in denen eine Ideologie als Vorwand genannt wird. Auch diese Formen sind zu unterscheiden. Das eine ist Überzeugung, das andere Rechtfertigung eigener Triebe.

Mind-Control

Wesentlicher Bestandteil der aktuellen Rituellen Gewalt Debatte, ist der Begriff Mind-Control. Der Bericht verharmlost diesen Begriff durch eine Umdeutung an mehreren Stellen:

Westpol:

Es sind schlimme Erinnerungen an Vergewaltigung, psychische Manipulation und Folter.

“Wir sind natürlich sehr erleichtert, wir haben diese Arbeit seit Jahren mit Sorge betrachtet”, sagt Heide-Marie Cammans, Vorsitzende des Vereins “False Memory”. Sie behauptet, dass es ganz leicht sei, dem Gehirn von Betroffenen in einer Therapie “Inhalte einzugeben”.  
[…]  
“Absurd” findet das Kerstin Claus, die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung: “Einerseits wird gesagt, Therapeuten hätten die Macht, Betroffenen Erinnerungen an massive Gewalterfahrungen einzupflanzen. Aber Tätergruppen, das wird von Kritikern unterstellt, sollen nicht die Macht haben, Kinder und Jugendliche so zu konditionieren oder zu manipulieren, dass sie den Missbrauch zum Beispiel decken, aktiv aufrechterhalten oder Erinnerungen daran auch über viele Jahre abspalten und sich nicht erst Jahre später bewusst daran erinnern.” Also so zu manipulieren, dass sie den Missbrauch z.B. decken oder sich erst Jahre später bewusst daran erinnern.

Meine Kritik:

Bei Mind-Control handelt es sich um keine Manipulation und Konditionierung im eigentlichen Sinne, sondern um eine Art Programmierung vermeintlich absichtlich abgespaltener Persönlichkeitsanteile, an die sich Betroffene im Alltag nicht erinnern würden. Auch wenn Kerstin Claus (Unabhängige Missbrauchsbeauftragte) im Interview von Manipulation spricht, passt diese Beschreibung weder zur aktuellen Debatte noch zu den Definitionen, wie sie in den Ausarbeitungen und Gremien der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten vorzufinden sind. Einige der Definitionen sind im Beitrag “Rituelle Gewalt, QAnon und der Verfassungsschutz” nachzulesen.

Darüber hinaus wird die wissenschaftliche Basis hinter False Memories als nichtig erklärt und es fehlen Verweise auf Stellungnahmen der psychologischen Fachverbände BDP und DGPs, die bereits im März 2023 ein unwissenschaftliches Vorgehen rund um das Amt der Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten kritisierten.

Missbrauchstudie Münster

Westpol:

In der großen Missbrauchsstudie, die das Bistum Münster im Jahr 2022 vorgelegt hat, sind durch Historiker sechs Fälle rituellen Missbrauchs dokumentiert.

Meine Kritik:

Was durch die Redakteure an dieser Stelle wohl übersehen wurde, ist Fußnote 25 auf Seite 293 der Studie, wo diese sechs Fälle erwähnt wurden:

Von einer Betroffenen, einer Therapeutin sowie einem ehemaligen Mitglied der Bistumsleitung wurde in diesem Zusammenhang der Verdacht geäußert, dass ein amtierender Pfarrer sowie ein Laie in Diensten des Bistums Mitglieder in einer solchen Sekte seien, die rituelle Gewalt verübe. Dafür haben wir im Zuge unserer Recherchen allerdings keine erhärtenden Anhaltspunkte gefunden.

Diese Fälle wurden zwar dokumentiert, aber in keiner Weise vollständig bestätigt. Weiterhin lässt diese Fußnote vermuten, dass es sich bei der Therapeutin, um die ebenfalls von Westpol interviewte Psychotherapeutin und Brigitte Hahn handeln dürfte. Diese Beziehung findet in dem Bericht keinerlei Erwähnung.

Beschwerde-Anerkennung durch die Psychotherapeutenkammer

Westpol:

Westpol liegen aber Hinweise vor, dass es dabei vor allem um eine ganz bestimmte Beschwerde ging.
[…]
Dem Münsteraner Bischof übermittelte der Verein die Beschwerde einer Frau, die behauptet, ihr sei die sexuelle Gewalt nur eingeredet worden, ebenso wie die Zugehörigkeit zu einer satanischen Gruppierung. Und zwar von einer der beiden Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle, einer Therapeutin, in deren Praxis.
 
Der „Spiegel“ griff die Vorwürfe dieser Patientin auf und machte aus dem einen Fall einen Artikel, der nahe legt, es habe System, dass Betroffenen diese Form von rituellem und organisiertem Missbrauch in Therapien eingeredet wird.  
Die Therapeutin bestreitet auf Anfrage, jemals einer Patientin etwas eingeredet zu haben. Es habe sich auch nie zuvor eine andere Patientin über sie beschwert. Die Beratungsstelle des Bistums Münster allerdings wurde zwei Tage nach der Veröffentlichung des „Spiegel“ geschlossen.

Meine Kritik:

Bereits im März 2023 stellte die Psychotherapeutenkammer ein Berufsvergehen der interviewten Therapeutin fest. Ob Westpol zum Zeitpunkt der Berichterstattung darüber informiert war, lässt sich nicht verifizieren. Die Psychotherapeutin, Jutta Stegemann, wird es wohl gewusst haben.

Die Aussage, oder vielmehr der Glaube der Psychotherapeutin, ist somit nicht der Wahrheit entsprechend und wird dennoch so belassen - obwohl Der Spiegel in einem Folgeartikel von der Anerkennung der Beschwerde berichtete. Nachzulesen im Artikel “Gefährliche Mythen, gefördert vom Bundesfamilienministerium”.

Die Aussage ohne weiteren Kommentar stehen zu lassen ist eine falsche Darstellung von Tatsachen.

Ergänzende und persönliche Anmerkung

Wichtige Informationen wurden im Artikel unterschlagen und verhindern so eine Abwägung von Informationen. Eine Einseitigkeit der Berichterstattung ist deutlich erkennbar. Die Antwort von Arne Hell lässt keinen anderen Schluss zu, dass von Anfang an kein Interesse an einer umfassenden und neutralen Berichterstattung vorlag.

Die Sendung wird im Mai 2024 aus der Mediathek verschwinden. Persönlich gehe ich nicht davon aus, dass bis dahin eine entsprechende Richtigstellung durch den WDR erfolgen wird.

Es ist offensichtlich, dass Teile des WDR die Thesen Ritueller Gewalt und deren Vertreter aktiv unterstützen und dabei die Grenzen einer objektiven Berichterstattung bewusst verlassen. Lobbyismus und Haltungsjournalismus sind nicht mehr abzustreiten.

Zum Weiterlesen

Quellen